Bei der Synode der EKD ist intensiv über das Thema "Welthunger" debattiert worden. Wie bewerten Sie diese Debatte?
Eine solche Tagung wird ja in den Arbeitsgruppen mit Gesprächen und Vorträgen von Referenten aus verschiedenen Bereichen vorbereitet. Da finde ich es bemerkenswert, dass man sich entschieden hat, zu den Plenarvorträgen der Synode nur kompetente Wissenschaftler einzuladen, die nicht den Mainstream der vergangenen Jahre bedienen, sondern wirklichkeitsbezogen argumentieren. Die allseits bekannten Demagogen, die keinerlei wissenschaftliche Kompetenz haben, aber die Deutungshoheit für die Grüne Gentechnik für sich beanspruchen und die vergangenen Kirchentage dominierten, waren offensichtlich nicht geladen.
Wenn Prof. Dr. Joachim von Braun das Motto „Es ist genug für alle da“ als unrichtig und als Provokation charakterisieren darf, ist das etwas Unerwartetes. Wenn er obendrein die Grüne Gentechnik als Verfahren bezeichnet, das den Entwicklungsländern nützen kann, und sich danach nicht wütende Proteste, sondern eine sachliche Debatte anschließen, ist das ein riesiger Fortschritt.
Aber in den von der EKD herausgegebenen Berichten über den Verlauf der Synode wird die Grüne Gentechnik nicht erwähnt. Also doch kein Richtungswechsel?
Schaut man sich die Entwicklung der letzten 10 Jahre an, so hätte man darauf wetten können, dass sich in den Abschlussdokumenten Sätze wie „Gentechnik taugt nicht zur Hungerbekämpfung“ finden würden. Aber für solche grundfalschen Slogans gibt es offenbar unter den Synodalen keine Mehrheit mehr. Eine offensive Bewertung der Grünen Gentechnik als ein Instrument zur Hungerbekämpfung (unter vielen anderen) gab es in den offiziellen Verlautbarungen nicht. Aber nach Zeitungsberichten war die Diskussion sehr konstruktiv, was so niemand erwartete hätte. Es wäre vermessen, anzunehmen, dass die Kirche einen Kurswechsel um 180° ad hoc vollziehen könne. Es ist schon ein Fortschritt, dass der Einzug der Grünen Gentechnik in die Landwirtschaft nicht mehr als Horrorvision dargestellt wird, sondern in den Abschlusspapieren der EKD gar nicht erscheint. Die Zuwendung zu wissenschaftsfundierten Standpunkten braucht einfach etwas Zeit. Man sieht, dass die evangelische Kirche wandlungsfähig ist, was sich ja auch auf anderen Feldern zeigt. Während noch vor einigen Jahren Homosexualität leidenschaftlich verurteilt wurde, können gleichgeschlechtliche Partnerschaften nun sogar den kirchlichen Segen erwarten. So, wie sich die Kirche mit dem Familienpapier der Lebenswirklichkeit annähert, tut sie dies auch im Hinblick auf die Landwirtschaft. Die Kirche hat immer nur die Wahl, ob sie ihre Modernisierung selbst gestaltet, oder ob sie sich von der Wirklichkeit überrollen lässt. Die EKD hat sich jetzt offenbar für einen konstruktiven Umgang mit der Grünen Gentechnik entschieden. Das stimmt optimistisch!
Sie haben den Synodalen 95 Fragen zur Grünen Gentechnik gestellt, auf dass sich alle, die sich darauf einlassen, persönlich positionieren. Glauben sie, dass das zu der neuen Entwicklung beigetragen hat?
Ich denke, dass sich viele Synodale damit ernsthaft auseinandergesetzt haben, und dass auch mein „Memorandum zur Verantwortung der Kirchen hinsichtlich des Themenkreises Grüne Gentechnik“, das ich vor etwa einem Jahr allen Synodalen geschickt habe, Beachtung gefunden hat. Auf meiner Website
http://www.gen1-28.de/ habe ich einige kirchliche Verlautbarungen kritisch hinterfragt. Es gibt aber viele Aktivitäten von Wissenschaftlern und der Wissenschaft zugewandten Christen, die zur Umkehr mahnen. Das Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München hat die Website
http://www.pflanzen-forschung-ethik.de/ etabliert. Dort kommen hoch angesehene Persönlichkeiten zu Wort. Und das kann nicht ohne Wirkung geblieben sein! Insgesamt kann man beobachten, dass die Kirche jetzt mehr als früher das Gespräch mit ernsthaften Wissenschaftlern sucht. Z. B. gab es in Magdeburg kürzlich in der Reihe „Spiegelsaalgespräche“, organisiert von der Evangelischen Akademie Sachsen Anhalt, eine Veranstaltung, in der auch die Vizepräsidentin der Leopoldina, Professor Dr. Bärbel Friedrich, zu Wort kam. So etwas ist informativ und trägt dazu bei, die Angststarre in der Kirche zu lösen.
Beinahe zeitgleich zur Synode hat Prof. Potrykus eine Probe Goldenen Reis, der den Vitamin-A-Mangel in den Entwicklungsländern lindern kann, von Papst Franziskus segnen lassen. Kurz zuvor hatte Kurienkardinal Turkson in Des Moines (USA) anlässlich der Verleihung des World Food Prize eine programmatische Rede gehalten und dabei zum Dialog zwischen den Befürwortern und Kritikern der Grünen Gentechnik aufgerufen. Wie bewerten Sie die Auseinandersetzung der Katholischen Kirche mit der Grünen Gentechnik? Wird der angemahnte Dialog zustande kommen?
In der katholischen Kirche ist man schon seit langem etwas weiter. Eine Wissenschaftler-Konferenz in der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften formulierte 2009, dass die Gentechnologie, „in geeigneter Weise und verantwortlich angewandt, unter vielfältigen Bedingungen wesentliche Beiträge zur Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität und der Nahrungsqualität leisten kann“ und dass es „eine moralische Verpflichtung ist, die Vorteile der Grünen Gentechnik im Interesse der Armen zu nutzen."
Aber die Signale aus dem Vatikan waren bisher nicht einheitlich. Während Bischof Marcelo Sanchez Sorondo, Kanzler der Päpstlichen Akademie, gentechnisch veränderte Nutzpflanzen als eine grundsätzlich „positive Tatsache" bezeichnete, beeilte sich der Papstsprecher Federico Lombardi zu erklären, Papst Benedict XVI hätte der Grünen Gentechnik seinen Segen nicht erteilt. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass Benedict XVI im zeitlichen Zusammenhang mit der Erklärung der Päpstlichen Akademie formuliert hat: „Ich glaube, dass die Zeit reif ist für eine Neubewertung der Agrokultur, nicht in einem nostalgischen Sinne, sondern als eine unverzichtbare Ressource für die Zukunft“. Dass jetzt Papst Franziskus I vor laufenden Kameras das humanitäre Golden-Rice-Projekt gesegnet hat, ist ein starkes Signal! Nicht mehr ,aber auch nicht weniger. Wenn der Kurienkardinal Turkson in einer programmatischen Rede zum Dialog zwischen den Befürwortern und Kritikern der Grünen Gentechnik aufruft, ist das ebenfalls ein Zeichen der Öffnung. Man kann davon ausgehen, dass die Diskussion um die Grüne Gentechnik jetzt in beiden Kirchen aktiviert ist und spannend bleibt.
Was erwarten Sie auf mittlere und längere Sicht von den Kirchen bei der Debatte über die Grüne Gentechnik?
Die Kirchen können ihren Einfluss geltend zu machen, dass die Pflanzen, die vor allem in den Entwicklungsländern wirklich gebraucht werden, mit Unterstützung der öffentlichen Hand endlich gezüchtet werden, und zwar sowohl konventionell als auch mit den Methoden der Gentechnik. Die Kirchen können auch vermitteln, dass solche Pflanzen dann – wie der Goldene Reis – den Bauern zu günstigen Bedingungen zur Verfügung gestellt werden. Wer nicht so lange warten will, bis auch der letzte Skeptiker in den Kirchen seinen Widerstand aufgibt, kann aus christlicher Verantwortung schon jetzt die
Petition "Rettet die Kinder! Jetzt!" unterzeichnen und sich an der Auflösung der noch bestehenden Blockaden beteiligen. Schließlich sterben täglich 6000 Kinder an Vitamin-A- Mangel und mit dem Goldenen Reis kann diese Zahl drastisch reduziert werden. Da kann kein Christ weiteres Abwarten verantworten.
Siehe auch ergänzend das Interview mit Prof. Dr. Szibor: »Angstdebatte mit vielfach widerlegten Behauptungen« -